Pierre Pauquay
Mitglied seit 5 Jahre 10 Monate
Die Ardennen über Täler und Hügel
Kultur und Wanderungen
Die winterliche Magie der Landschaft hoch oben
Mit meinen gefütterten Stiefeln ziehe ich in das Hohe Venn aus, den tiefen Winter zu erleben, Eissturm und stechender Kälte die Stirn zu bieten.
5 min. Eiszeit
Anfang Dezember: das Hohe Venn ist schon von Schnee gepudert. Auf dem hohen Plateau ist der Winter in all seiner Pracht durch die Vordertür gekommen. In der Michelshütte Baraque Michel gibt die Morgendämmerung nun den Blick auf das Venn frei, was in der Nacht von einer Eisschicht überdeckt wurde. Es ist -20°C kalt und die Sonne vermag es noch nicht, die Atmosphäre aufzuwärmen. Meine Handschuhe und Mütze reichen kaum aus, um mich vor der beißenden Kälte zu schützen. Es herrscht reges Treiben: die Herberge ist der Treffpunkt aller Langläufer und Bewunderer des Venns. Im 19. Jahrhundert sah das anders aus… Die Kapelle und Herberge waren komplett isoliert inmitten der Heide. Bei Unwetter und Schneestürmen läutete man die Glocke, um Reisende durch das Moor zu leiten. Die auf dem Venn errichteten Säulen dienten den Reisenden und Hausierern sich in diesem Pflanzenozean zurechtzufinden. Der Boulté direkt gegenüber zeugt noch von ihnen…
Der Weg durch ein Meer aus Pflanzen
Ich folge Serge Nekrassoff, einem Historiker, der im Forschungszentrum von Mont-Rigi ganz in der Nähe arbeitet. Schnell verliert sich der Straßenlärm: ich trete in die Tiefen „unseres“ Gebirges ein. Es braucht sich gegenüber der renommierten Gipfel nicht zu schämen, seine Höhe wird in Gefühlen gemessen. Schließlich erscheint die Sonne und wärmt mein Herz. Licht überschwemmt nun das Naturschutzgebiet: die Natur zeigt sich als außergewöhnlicher Landschaftsmaler. Der Schnee ist tief und ich kann die Holzstege kaum erkennen. Ich betrete sie vorsichtig: die Überreste der ehemaligen „Via Mansuerisca“, die das Venn durchquerte.
Serge meint, „sie war trotzdem ganze 6m breit, unsere Holzstege machen neben dieser Straße auf Pfählen keine gute Figur. Der wichtige Verkehrsweg wurde fast 1.000 Jahre vom 4. bis zum 14. Jahrhundert benutzt…“ Das Venn war doch nicht so isoliert und bedauernswert, wie der Volksglaube es behauptet… Serge ist der Meinung, dass der Mythos bis heute anhält. „Spazieren im Venn ohne Führer sei gefährlich… Die Aussage bringt mich zum Schmunzeln. Die wenigen, drolligen Fotos im Netz von Wanderern, die bis zur Taille tief im Torf stecken. Dabei muss man einfach nur den Pfaden und Wegen der Holzstege folgen, die wir gerade entlanggehen.“
Hier gefriere es 120 Tage im Jahr…
Die Fantome des Venn
Zu meinen schritten gesellt sich das Knirschen des Schnees, der durch das Eis verhärtet wurde. Das Hohe Venn, eine Mischung aus kleinem Gebirge und verlassener Heide, weist tatsächlich skandinavische Züge auf. Ich dachte, hier gefriert es 120 Tage im Jahr und die Temperaturen fielen bis in den zweistelligen Minusbereich ab? Ich passiere einen Grenzstein, der früher die Grenze zwischen dem Königreich der Niederlande und Preußen markierte. „Sie war klar gekennzeichnet“, verdeutlicht Serge „1911 verwüstete ein Feuer das Venn. Von beiden Seiten der Grenze warf man sich feindliche Blicke zu: zwischen den beiden Ländern gab es keine Absprache zur Löschung des Feuers.“ Am Horizont taucht eine Insel inmitten des weißen Meers auf. Der alte Kiefernwald Noir Flohay wird meine Tagesorientierung sein. Ich biege nach links in Richtung eines kaum sichtbaren Pfades ab. Er wird mich direkt zu den ausgemergelten Kiefern bringen: den Fantomen des Venn. 1850 von Menschenhand gepflanzt, haben sie den harten Wintern und Bränden nicht standgehalten. Das Betreten dieses verkümmerten Waldes erweckt die Sinne. Die Landschaft ist einzigartig, fast phantasmagorisch.
Ich zittere angesichts der Einsamkeit
Die Brandschneise geht gen Süden. Man müsste Waldläufer sein, um den richtigen Weg zu finden. Knietief im Schnee bewege ich mich mehr schlecht als recht zur Hill vor, deren schwarzes, torfhaltiges Wasser fließt. Ich gelange ermutigt auf die Holzstege zurück. An der Holzbrücke überquere ich den Fluss, an dessen gegenüberliegender Seite sich das Venn wie ein Gletscherende gegen das Ufer stemmt. Auf dem GR® erklimme ich das Wallonische Venn, das Juwel des Naturschutzgebietes, welches noch von der bleichen Januarsonne erhellt wird. Die Landschaft ist beeindruckend, einzigartig. Von diesem Erlebnis gefesselt, werde ich von der Dämmerung überrascht, die das Venn ins Halbdunkel taucht. Kein Licht am Horizont, nichts was menschliches Leben verrät. Ich zittere angesichts der Einsamkeit. Ich beschleunige meine Schritte, um mich in der Wärme einer Brauerei wiederzufinden. Rund um den Kamin wärmen die ausgetauschten Erinnerungen dieses kalten Tages die Selle und Herzen: unvergessliche Erinnerungen, die dem betörenden Venn aufs Auge gleichen.
Erlebt es selbst
Die Wanderung – 13km
Die Wanderung dieses Berichts beginnt bei der Michelshütte gegenüber des Parkplatzes, verläuft in Richtung Hill (Richtung Eupen): der einzig autorisierte Wanderweg. Er verläuft auf Holzstegen bis zur neuen Holzbrücke nach 3km. Überquert sie und kehrt entlang dem Wallonischen Venn über den GR® 573 und 56 Richtung Aussichtsturm Signal de Botrange und der Michelshütte zurück.
Die Michelshütte Baraque-Michel
In den Mauern weht noch der Epos der Herberge, die ab dem 19. Jahrhundert die ersten Reisenden und Schmuggler empfing… Die Herberge bietet neben einer Küche des Terroirs auch ein paar Zimmer ab 31€ pro Person.
Informationen:
Michelshütte
Baraque Michel 36
4845 Jalhay, Belgien
Mit meinen gefütterten Stiefeln ziehe ich aus, den tiefen Winter zu erleben, Eissturm und stechender Kälte die Stirn zu bieten