Ich bin auf Burg Reinhardstein ins Mittelalter eingetaucht
Eine Besichtigung als Zeitreise getarnt
5 Min. Auszeit
Früh am Morgen breche ich auf dem Weg Reinhardstein auf, wo die Erzählungen und die Geschichte der Gegend nachklingen. Je mehr ich hinabsteige, desto mehr verengt sich das Tal und wird schließlich zum Canyon. Die Landschaft ist so eingeengt, dass die Sonne es nicht in das enge Tal hineinschafft: die Umgebung ist karg und wunderschön. Und plötzlich erhebt sich die mittelalterliche Silhouette der Burg Reinhardstein vor mir. Auf ihrem Felsvorsprung hängt sie zwischen Himmel und Erde und verschmilzt mit dem Wald um sie herum, geschützt vor Blicken. Ihre Lage ist außergewöhnlich, vollkommen auf Verteidigung ausgelegt. Von einem engen Tal umgeben und 60 Meter unterhalb der Mauern präsentiert sich die Stätte als natürlich abgeriegelter Fels, der praktisch unnahbar ist. Hier herrscht das Mittelalter und quillt aus seinen Mauern hervor. Ich werde dank meiner zwei mittelalterlich kostümierten Guides Mireille und Hervé völlig darin eintauchen. Ein Kindheitstraum wird wahr: Reinhardstein ist mit seinen Wachtürmen, seinem Bergfried und den Burgmauern genau so, wie ich mir als Kind eine Festung vorgestellt habe. Ich sprudele über vor Fantasie: Ich kann sogar das Klappern der Rüstungen der Wachmänner hören, die ihren Rundgang machen…
Auf der Lederstraße
Der Umriss des Schlosses bereitet mich auf seine spannende Geschichte vor. Zu seiner Zeit war es angsteinflößend und gefürchtet. Auf diesem uneinnehmbaren Boden wurde die Festung im 14. Jh. vom Herrn der Gegend Reinhard von Weismes erbaut. Die Burg überwachte von ihrer Höhenlage aus die Straße entlang des Warchetals und den Handelsverkehr. Die Lederstraße, die durch Reinhardstein führte, war die einzig zugängliche in der Region. In der Umgebung bremsten die endlosen Heiden des Venn selbst den kühnsten Wanderer aus… Auf der Höhe des Panoramas kann man die ganze Burg sehen und da sagt Hervé zu mir: „Die Herren hatten keinerlei Skrupel von den Händlern Geld zu erpressen und von ihnen Durchgangsberechtigungen, bzw. Warendarbietungsrechte zu verlangen. “ Die heutige Maut auf unseren Autobahnen ist das Überbleibsel davon… Lederstraßen, Eisenstraßen, Pilgerreisen auf dem Jakobsweg: das mittelalterliche Welt war in ständiger Bewegung. Im Mittelalter reiste man viel. Händler, Soldaten und Pilger wollten ohne Unterlass ihren Horizont erweitern“, erinnert mich Mireille. Und Religion spielte eine wichtige Rolle im Leben der Menschen. Es ist wirklich nicht verwunderlich, dass sich diese gläubigen Reisenden an heilige Orte wie Jerusalem, Rom oder Compostella begaben.
Eine Garnison, die dem Fürstabt dient
Die Macht des Herren von Weismes zeigte sich im Schatten seines Bergfrieds. Im Mittelalter vereinte die Burg Verteidigung und visuellen Eindruck. Die Burg, welche ein einfacher Bergfried gewesen war, wurde nach und nach zu einem großen Ensemble, in dem Garnison, die Herrscherfamilie und deren Bedienstete nebeneinander lebten.
Reinhardstein sicherte den Schutz des Abtfürstentums Stavelot-Malmedy: „ein Territorium, das sich mit dem Großherzogtum Limburg-Luxemburg überschnitt, welches viel größer als das heutige Belgien war“, erzählt Hervé. Da der Fürstabt nicht zu den Waffen greifen konnte, kümmerte sich der Herzog von Luxemburg um die Verteidigung: geistige Macht und Macht der Herrscher standen einander bei. Auf Reinhardstein verfügte der Verteidiger über seine Garnison nur 6 km von der Abtei entfernt. „Im Galopp konnten die Ritter den Äbten schnell zur Hilfe eilen“, signalisiert mir Mireille.
Die Burg wurde nun durch die Hände verschiedener Familien durchgereicht und fiel 1812 an den Graf Metternich, der sie dem Verfall überließ… Zwischen 1970 und 1980 rettete Professor Overloop das Kulturerbe. Auf Ruinen und Dokumenten aus dem 14. Jh. aufbauend, rekonstruierte der Geschichtsdozent minutiös und identisch das Erbe aus dem Mittelalter. Auf den alten Fotos, die mir Mireille zeigt, kann ich die Ausmaße der Restaurierungsarbeiten erkennen. Die Mauern aus Bruchsandstein wurden ausgehoben während die wunderschönen Schieferdächer mittlerweile die unterschiedlichen Gebäudetrakte bedeckten.
Ein Papiertiger
Auch wenn die Burg mit Ihrem Salamanter-Rundturm darauf ausgelegt ist, Katapulten zu widerstehen, kann sie dem Fortschritt der Artillerie nichts entgegensetzen. Ab dem 15. Jh. existieren enorme Steinschleudermaschinen, die Geschosse von einigen Dutzend Kilo aus mehreren hundert Metern Entfernung schleudern können. Schwarzpulver wird die Mauern, so mächtig sie auch sein mögen, überwinden können. In wenigen Jahren wird das Konzept der mittelalterlichen Festung selbst Geschichte sein… Dann kann es zur Legende werden.
Dann zeigt mir Mireille eindrucksvolle Rüstungen. Sie wogen über 30 kg.
Herausragende Reiter
Heute kann man sich während der Besichtigung in das Leben der damaligen Burgherren hineinversetzen. Die Säle schließen eine große Waffen- und Wandteppichsammlung ein. Ich wandle an Rüstungen und den Bildern des Rittersaals und Wachzimmers herum. Und höre Mireille zu. „Im 14. Jh. kam ein relativer Luxus auf: die Dekoration der Säle versucht, das trübsinnige Leben in den grausigen Zimmern aufzuheitern. Wandteppiche kaschieren die Wand und bringen etwas Farbe hinein… Vergiss nicht, dass die Möblierung der Häuser und Burgen sehr bescheiden war“…
Dann zeigt mir Mireille eindrucksvolle Rüstungen. Sie wiegen über 30 kg. Man wuchtete den Ritter mithilfe einer Winde in seine Montur. In seinem Harnisch sah er fast nichts mehr. Mit ihrer Lanze waren sie bemerkenswerte schwere Kavallerie und perfektionierten ohne Unterlass ihre Fertigkeiten auf Turnieren. „Im Kampf fielen sie dank ihrer Schilder und Standarten auf und gerecht zu kämpfen. Der runde Brustpanzer vermied tödliche Stöße.“ Mireille reißt mich mit ihren Erzählungen von Spielmännern und Troubadouren mit: in den Mauern der Burg wird der epische Epos der Ritter und des Mittelalters weiterleben, solange es leidenschaftliche Guides gibt. Das Klappern der Pferdehufe, die auf das Pflaster des Innenhofes hämmern, sind nicht länger nur eine Vorstellung, sondern werden auf Reinhardstein fast zur Realität…
Erlebt es selbst
Chemin du Cheneux 50
4950 Ovifat - Belgien
Tel.: +32 (0)8044 6868
Mittelalterbankett, Schnupperbogenschießen, Greifvogelflugvorführungen; es gibt mehr als genug zu erleben auf der Burg Reinhardstein
Webseite: http://www.reinhardstein.net/